Stabil vs. fragil: Zwei Häupter im Vergleich 

Aus den 45 heiligen Häuptern stechen zwei besonders hervor: das eine, weil es besonders gut, und das andere, weil es relativ schlecht erhalten ist. Beide haben jedoch gemeinsam: Sie gewähren spannende Einblicke.

Von Sarah Istel und Lea Sophie Linder, mit Unterstützung von Maria Daubauch und Magdalena Eicheldinger / Teaserfoto: Sarah Harder, Paulina Lambeck, Helene Schönbach und Johanna Gerling 

Alle 45 Häupter sind einzigartig – man könnte Stunden damit verbringen, jedes Einzelne genau zu betrachten, zu analysieren und sich über ihre Geschichten Gedanken zu machen. In diesem Artikel wollen wir zwei ganz besondere Häupter vorstellen: Haupt 29 und Haupt 32. Obwohl sie beide in derselben Altarnische gefunden wurden, könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Während Haupt 29 nämlich in einem stabilen Zustand und insgesamt sehr gut erhalten ist, bricht Haupt 32 bereits fast auseinander; dies ermöglicht aber spannende Einblicke in die verschiedenen Schichten des Objekts und seine Füllung. 

Leuchtende Farben und kostbare Stoffe: Haupt 29 ist gut erhalten 

Haupt 29 sieht einem Kopf sehr ähnlich und hat nach all der Zeit nicht seine Form verloren. Ein braunes Gewebe, welches stark an ein Haarnetz erinnert, ist um das Haupt gewickelt, wobei vorne ein Bereich frei gelassen wurde. Dadurch sieht dieser Teil aus wie die Stirn des Hauptes. Das Schädelfragment ist durch einen festen Zusammenhalt der Gewebe und Nähte fest eingeschlossen. Generell sind fast alle Gewebe vollständig erhalten, es gibt nur wenige Schad- und Fehlstellen (zum Beispiel Löcher oder Risse). Dadurch ist es allerdings auch nicht möglich, in das Innere des Objektes zu schauen und einen Blick auf die Füllmaterialien und weitere Gewebe zu erlangen.  

Das verwendete Gewebe war zur Herstellungszeit der Häupter vermutlich sehr kostbar, in mehreren Geweben sowie im rückseitig angebrachten Haarnetz sind ehemals goldfarbene Metallfäden verarbeitet. Auch die Farben der Gewebe im Haupt sind gut erhalten, vor allem ein gelbes und ein grünes Gewebe springen beim Betrachten des Hauptes sofort ins Auge. 

Haupt 29 von vorne: Die Pailletten unterhalb des Gewebes sind augenförmig angeordnet / Foto: Sarah Harder, Paulina Lambeck, Helene Schönbach und Johanna Gerling 

Die Studierenden des Studiengangs “Textilien und Archäologische Fasern” (kurz: TAF) der TH Köln haben an Haupt 29 bereits einige Arbeitsschritte vorgenommen. So haben sie eine Unterlage zur Langzeitaufbewahrung gebaut, die verhindert, dass sich die Position des Hauptes ungewollt verändert und die einen sicheren Transport gewährleisten soll. Sie besteht aus einer Vertiefung mit Plastazote, ist mit Volumenvlies ausgepolstert und mit schwarzem Baumwolljersey überspannt. Die Unterlage inklusive Haupt würde sich so auch für eine Ausstellung eignen. 

Kaum noch in Form: Haupt 32 erlaubt spannende Einblicke ins Innenleben 

Haupt 32 hat seine ursprüngliche Form verloren, vermutlich, weil es in der Fundstelle relativ weit unten lag und vom Gewicht der darüber liegenden Häupter zerdrückt wurde. Diese Vermutung konnte aber noch nicht klar bestätigt werden. Seine vermutlich ursprüngliche runde Form und seine Gestaltung lassen sich jetzt nur noch schwer nachvollziehen. Es fehlen großflächige Teile der Gewebe und die einzelnen Fragmente werden kaum noch zusammengehalten. 

Vorderansicht von Haupt 32: Die ursprüngliche Form ist kaum noch erkennbar / Foto: Johanna Gerling, Sarah Harder, Paulina Lambeck, Helene Schönbach 

Beim Betrachten fällt auf, dass ein großes Schädelfragment lose auf den Textilien aufliegt. Der Verbund (Zusammenhalt) des Hauptes und einige Textilien sind fast vollständig aufgelöst. Zu sehen ist auch eine schmale Metallkrone, welche aber nur auf der rechten Seite befestigt ist. Wenn man sich Haupt 32 genauer anschaut, kann man unter den Augenhöhlen das innere Füllmaterial erkennen. Durch den schlechten Erhaltungszustand des Hauptes kann man die verschiedenen Schichten des Objektes teilweise genau betrachten und analysieren. Wie die “Jahresringe” bei einem Baum kann man hier erkennen, wie die Gewebelagen immer älter werden, je näher man in die Mitte des Objektes vordringt.  

Auch hier haben die TAF-Studierenden Arbeiten vorgenommen. Anders als bei Haupt 29 wurde hier keine Unterlage zur Langzeitaufbewahrung gebaut, sondern nur eine temporäre Stütze für den Zeitraum der Bearbeitung hergestellt. Dadurch kann man das fragile Objekt drehen. 

Zwischenbilanz der Restauration: Was bisher geschah 

Beide Häupter wurden visuell untersucht und es wurden mikroskopische Untersuchungen mit einem Auflichtmikroskop durchgeführt. Es wurden beispielsweise Gewebeanalysen bei den eindeutig zuordenbaren Geweben gemacht, und bei komplizierter gewebten Textilien wurde eine Gewebeanalyse begonnen. Außerdem wurde eine Stratigrafie der sichtbaren Gewebe vorgenommen: Dabei wird die Abfolge der Textilien von innen nach außen grafisch dargestellt und es wird zugeordnet, in welcher Schicht das Gebein liegt.   

Details an der Vorderseite von Haupt 32: Das beige Textil ist im Begriff, sich fast vollständig aufzulösen / Foto: Magdalena Eicheldinger  

Sowohl Haupt 29 als auch Haupt 32 wurden jeweils von sechs Seiten fotografiert. Von besonders interessanten Stellen wurden Makrofotos aufgenommen. Mikrofotos wurden mit einem Digitalmikroskop geschossen. Zu den Arbeitsschritten zählten auch die genaue schriftliche Dokumentation des Erhaltungszustandes aller einzelnen Gewebe und der Gesamtkonstruktion. Des Weiteren wurde der komplette Bestand kartiert, mit dem Programm Gimp wurden alle am Haupt vorgenommenen Textilien und Nähfäden dargestellt.  

Ein Blick in Zukunft: potenzielle Arbeitsschritte und angestrebtes Endergebnis 

Für die kommenden Arbeitsschritte in der Restaurierung liegt der Fokus auf detaillierten Faseranalysen. Diese Analysen sind entscheidend, um die genauen Rohstoffe der verwendeten Textilien zu bestimmen und somit ein tieferes Verständnis für die Materialien zu erlangen, die bei der Herstellung des Objektes eingesetzt wurden. Weitere Maßnahmen werden erst im Verlauf des Projektes detaillierter diskutiert und entschieden.  Eine der Überlegungen zum weiteren Vorgehen ist die Option einer Trockenreinigung. Gleichzeitig wird erwogen, besonders gefährdete Bereiche zu sichern, um eine langfristige Stabilität der Häupter zu gewährleisten. 

Weil die Heiligen Häupter in der Zukunft wieder an ihren Fundort in Roermond zurückkehren sollen, ist das angestrebte Endergebnis der Restaurierungsarbeit klar definiert: Die Häupter sollen in einem Zustand übergeben werden, der einen risikofreien Umgang durch die zukünftigen Eigentümer ermöglicht. Um dieses Ziel zu erreichen, sind umfassende konservatorische Maßnahmen geplant, die darauf abzielen, die Häupter zu sichern. Des Weiterenstehen restauratorische Maßnahmen auf der Agenda, die die Lesbarkeit der Objekte, insbesondere im Kontext von Ausstellungen, verbessern soll. Um sicherzustellen, dass die Restaurierung den spezifischen Anforderungen entspricht, werden diese Schritte in enger Absprache mit der Kirchengemeinde in Roermond durchgeführt. 

Zunächst muss aber entschieden werden, mit welchem Konzept die Häupter in Roermond gelagert und/oder ausgestellt werden sollen und wie die Kirchengemeinde in Roermond mit den Reliquien zukünftig umgehen möchte (z. B., ob sie einen sichtbaren Platz in der Kirche oder in der Liturgie bekommen sollen). Darüber hinaus sollte das Restaurierungskonzept möglichst auf alle Häupter des Konvolutes anwendbar sein, um ein systematisches und geschlossenes Vorgehen zu ermöglichen 

Dieser Text ist in Zusammenarbeit von Studierenden des Studiengangs Online-Redaktion, Lea Linder und Sarah Istel, und Studierenden des Studiengangs Textilien und Archäologische Fasern (TAF), Magdalena Eichelding und Maria Daubach, entstanden. Die Basis dieses Artikels bilden die Informationen der TAF-Studierenden, die von uns Online-Redakteurinnen in diesem Text zusammengefasst wurden.