Professor Peter Kozub scannt ein Heiliges Haupt.

3D-Scan: Wenn antike Reliquien auf moderne Technik treffen

Professor Kozub drückt „Start“ mit der Maus an seinem Computer, schon schießen ruckartig Lichter aus dem Gerät in seiner Hand, das an ein Bügeleisen erinnert. Die ringförmigen LEDs erzeugen ein Stroboskoplicht im Raum, für das es eigentlich einen Warnhinweis für Epileptiker*innen bräuchte. Dieses Bügeleisen ist allerdings nicht zum Plätten von Textilien gedacht, sondern um Objekte dreidimensional zu scannen. „So ein Handscanner kostet etwa 20.000 Euro“, erklärt Kozub. Die passende Software gebe es immerhin kostenlos dazu. „Für den Preis könnte das Gerät aber etwas besser verarbeitet sein“, bemängelt Kozub. Das leicht vergilbte Plastikgehäuse lässt vermuten, dass das Bügeleisen schon einige Scans hinter sich hat. „In meinem Fachbereich scannen wir eigentlich alle Objekte, die wir in die Finger kriegen.“

Dr. Peter Kozub ist Professor für Kulturgut aus Stein an der TH Köln. Er besucht heute die Studierenden des Schwesterfachs „Textilien und archäologische Fasern“, um ein ganz besonderes Objekt dreidimensional zu scannen. Eines der 45 „Heiligen Häupter von Roermond“ soll heute mit Hilfe des Gerätes digital erfasst werden. 

Bei den Heiligen Häuptern handelt es sich um Reliquien, die in 2013 in der Münsterkirche von Roermond gefunden wurden. Die ehemaligen Heiligtümer wurden wohl im Mittelalter verehrt und hunderte Jahre später auf der Nordempore der Kirche eingemauert. Die enthaltenen Knochen werden mit der Legende der Heiligen Ursula von Köln in Verbindung gebracht. Derzeit werden die Reliquien durch Studierende der TH Köln untersucht und restauriert.

Die Auswahl fällt schwer

Den perfekten Schädel für den Scan zu finden, ist allerdings nicht so einfach: „Das Haupt muss am besten sehr formstabil sein und darf keine reflektierenden Oberflächen haben“, erklärt Dr. Nicole Reifarth, Professorin für Textilien und archäologische Fasern an der TH Köln. Alle 45 Heiligen Häupter bestehen aus Knochenfragmenten, die durch mehrere Schichten an Textilien zusammengehalten werden. „Was sonst noch in den Häuptern steckt, wissen wir auch nicht ganz genau“, so Reifarth. Eine Computertomographie soll bald Licht ins Dunkel bringen.

Nach einer Vorauswahl von drei Objekten entscheidet sich die Gruppe aus Studierenden und Dozent*innen für Haupt Nummer 38. Diese Reliquie erinnert an jüngst vergangene Zeiten: Sie sieht aus wie ein Kopf, der durch eine Coronamaske und eine Kapuze bedeckt wird, sodass nur ein Teil der Stirn zu sehen ist. Die Textilien bestehen mehrheitlich aus Seide, die dunkelgrün sowie hell- und dunkelblau gefärbt ist. Diese Farben sollen neben der Oberflächenstruktur später auf dem 3D-Scan möglichst detailgetreu zur Geltung kommen.

Amy Winehouse steht noch einmal im Rampenlicht

Bevor allerdings das Haupt digitalisiert werden kann, muss zunächst ein Objekt für einen kurzen Testdurchlauf gefunden werden. Eine kleine Stoffpuppe muss herhalten. „Das ist übrigens Amy Winehouse“, erklärt eine Studierende, die ein Abbild ihrer Lieblingsmusikerin selbst gehäkelt hat. 

Die selbst gehäkelte Puppe stellt Soulikone Amy Winehouse dar.

Professor Kozub startet den Testlauf. Studierende aus unterschiedlichen Semestern und Studiengängen versammeln sich um den kleinen Rolltisch. Der Scanner wirft flackernde Lichter auf die gehäkelte Soulikone. „Dieses Streiflicht wird reflektiert und von den beiden Kameras am Gerät wieder aufgenommen“, erklärt Kozub den Studierenden. Die Aufnahmen werden zeitgleich auf den Computer übertragen und anschließend zu einem punktgenauen 3D-Modell verarbeitet. Etwa 16 Bilder pro Sekunde speichert der Scanner und arbeitet dabei mit einer Genauigkeit von 0,3 Millimetern. Der Test ist geglückt, sogar die einzelnen Häkelmaschen der Figur lassen sich am Bildschirm erkennen.

Nun darf die hunderte Jahre alte Reliquie auf dem selbstgebauten Sockel Platz nehmen. Kozub drückt erneut „Start“, das Strobo-Licht flackert. Langsam und mit erhobenem Scanner bewegt sich der Professor wie ein Samuraikrieger um den viereckigen Tisch. „Ich sage immer, man muss alles möglichst genau abrasieren, damit keine Fehler entstehen“, so Kozub. 

Was früher zwei Tage dauerte, geht heute in zwei Minuten

Er erzeugt mehrere Aufnahmen aus allen möglichen Blickrichtungen, die er anschließend manuell zu einem vollständigen 3D-Modell zusammenfügen muss. „Das ist immer ein bisschen wie puzzlen“, sagt Kozub, während er zwei dreidimensionale Aufnahmen am Rechner zusammenschiebt. „Ich erinnere mich, früher brauchte man für ein 3D-Modell noch zwei Tage Arbeit.“ Heute dauert es maximal zwei Minuten, bis das Programm ein realistisches Ergebnis ausspuckt. 

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„Es lohnt sich zu speichern. Was weg ist, ist sonst für immer weg.“ Gespeichert, fertig! Eine millimetergenaue Kopie der antiken Reliquie erscheint auf dem Bildschirm des Dell-Laptops, der bald selbst schon antik ist. „Sieht gut aus“, bestätigt Professor Kozub. 

Die menschlichen Überreste, die mittlerweile nur noch „Haupt Nr. 38“ heißen, wurden in der Vergangenheit erst verehrt, dann eingemauert, wieder entdeckt und jetzt restauriert. Eine hunderte Jahre alte Geschichte, die an die TH Köln führte und dessen Ergebnis nun für die Ewigkeit im digitalen Raum gespeichert ist.